SCHäDEN DURCH FROST: WIE DER PLöTZLICHE KäLTEBRUCH DEM WEIN UND DEN OBSTBäUMEN ZUSETZT

Bäume und Reben haben im warmen Frühling früh ausgetrieben. Umso härter trifft der Kälteeinbruch nun die Pflanzen. DWD-Expertin Bianca Plückhahn erklärt, wie der Frost Wein und Obst beschädigt – und wie Eis vor Eis schützt.

SPIEGEL: Vor zwei Wochen schwitzten wir in sommerlicher Hitze, nun kühlte Luft aus der Arktis das Land auf Minusgrade. Sind das verfrühte Eisheilige, also die gleiche Dynamik wie bei dem typischen zwischenzeitlichen Kälteeinbruch im Mai, nur durch den Klimawandel nach vorn verschoben?

Plückhahn: Eisheilige würde ich das nicht nennen, wir haben einen für den April ganz normalen Kaltlufteinbruch. Der kommt uns nur deshalb so fürchterlich kalt vor, weil die erste Aprilhälfte extrem warm war. An einem Tag war es an einem Ort im Rheintal sogar über 30 Grad, das ist sehr ungewöhnlich. Und diese Hitze plus die Wärme schon im März haben dann dazu geführt, dass sich die Pflanzen so früh entwickelt haben.

DER SPIEGEL fasst die wichtigsten News des Tages für Sie zusammen: Was heute wirklich wichtig war - und was es bedeutet. Ihr tägliches Newsletter-Update um 18 Uhr. Jetzt kostenfrei abonnieren.

SPIEGEL: Der Wein hat längst ausgetrieben, die Kirschen haben geblüht, die Äpfel tun es noch. Wie schlimm setzt der Frost Wein und Obst zu?

Plückhahn: In der Tat, der Wein war extrem früh dran. Das Weingut Schloss Wackerbarth im Elbtal beispielsweise hat gemeldet, dass die Reben vier Wochen früher ausgetrieben seien als üblich. Das ist schon eine Hausnummer. Und die Apfelbäume haben im Deutschlandmittel so zwei bis drei Wochen früher zu blühen begonnen. Dass es da jetzt in vielen Regionen zu Frostschäden kommt, ist klar.

SPIEGEL: Fallen die Weinlese und Apfelernte dieses Jahr aus?

Plückhahn: Wie heftig die Schäden sind, wird sich erst in den nächsten Tagen zeigen. Das hängt stark von den Bedingungen vor Ort ab, etwa von der Bodentemperatur, von der Dauer des Frosts, vom Wind. Aber wir wissen schon, dass es die ostdeutschen Weinanbaugebiete und auch Franken besonders schlimm erwischt hat. Im Elbtal herrschten vergangene Nacht – es war die kälteste – zwischen minus vier und minus sechs Grad.

SPIEGEL: Was macht der Frost mit dem Wein?

Plückhahn: Legen Sie mal ein Blatt Salat in den Eisschrank, dann sehen Sie es: Es wird schwarz und schlaff. Das Wasser in den Pflanzenzellen dehnt sich aus, wenn es zu Eis wird und sprengt die Zellen. Kirsch- oder Apfelblüten fallen einfach ab.

SPIEGEL: Hilft es den Pflanzen vielleicht sogar, dass sie dieses Jahr so früh dran waren, weil sie das fragile Blühstadium schon hinter sich hatten als es so kalt wurde?

Plückhahn: Die Forschung spricht dagegen. Der Apfel hält zu Beginn der Blüte danach eine halbe Stunde lang bis zu minus 2,2 Grad aus, nach der Blüte aber nur noch minus 1,7 Grad. Beim Pfirsich beträgt die Abnahme der Kältetoleranz zwischen diesen beiden Stadien sogar fast vier Grad. Und Weinreben sind noch empfindlicher. Da sind zum Teil Schäden ab null Grad möglich. Und wenn unsere Wetterstationen zwei Meter über dem Boden schon Minusgrade messen, können Sie sich vorstellen, dass es 70 Zentimeter über dem Untergrund, auf Höhe der sogenannten Bogrebe, die später die Triebe mit den Früchten trägt, noch kälter ist.

SPIEGEL: Durch die Erderwärmung gibt es weniger Spätfrost im Frühjahr. Rettet das in Zukunft Obst und Wein?

Plückhahn: Es stimmt zwar, dass die Anzahl der Frosttage sinkt. Das hilft aber wenig, wenn die Pflanzen durch die zunehmende Wärme im Winter und Frühjahr auch früher mit dem Wachstum beginnen. Im März und April werden sie dann viel härter von solchen Frösten getroffen. In manchen Regionen und bei manchen Kulturen kann das Risiko für schädlichen Frost, der zu Ernteausfällen führt, sogar zunehmen.

SPIEGEL: Können Sie das beziffern?

Plückhahn: Für Deutschland haben wir die Wahrscheinlichkeit für Schadfröste nach dem Beginn der Kirschblüte ausgewertet. Demnach lag sie im Zeitraum 1961 bis 1990 bei 19 Prozent und ist im Mittel der drei Jahrzehnte danach auf 27 Prozent angestiegen. Die Chance, dass es zu einem solchen Kälteeinbruch mit Konsequenzen kommt, liegt inzwischen also bei mehr als einem Viertel.

SPIEGEL: In Frankreich hat ein Kälteeinbruch vor drei Jahren schwere Schäden angerichtet, Frankreichs Bauern beklagten Ausfälle in Milliardenhöhe und die »größte landwirtschaftliche Katastrophe des frühen 21. Jahrhunderts«. In diesem Jahr haben einige Regionen im Süden Europas mit Dürre zu kämpfen, ein Schaumweinhersteller aus Spanien erklärte jüngst, dass er deswegen aktuell 80 Prozent seiner Belegschaft freistellen muss. Müssen wir auf lange Sicht den Weinanbau sein lassen und uns von heimisch angebauten Kirschen, Äpfeln und Pfirsichen verabschieden?

Plückhahn: Was sollen wir denn essen, wenn wir jetzt schon aufgeben? Zum einen ist, was die Wasserarmut betrifft, gerade sehr viel im Umbruch. In der Pflanzenzüchtung werden Sorten entwickelt, die mit weniger Wasser klarkommen. Andernorts werden eben jetzt auch Weinberge bewässert, also technische Lösungen gesucht. Und wenn wir von Spätfrösten reden: Die führen ja nicht jedes Mal zu Schäden, in den meisten Jahren halten die Kulturen der Witterung stand. Von daher bin ich recht optimistisch, dass wir gerade hier in Deutschland solche günstigen klimatischen Verhältnisse haben, dass wir auch in den nächsten Jahrzehnten noch Kirschen, Äpfel und Wein haben. Und Wein wird inzwischen in Südschweden und Südengland angebaut, das ist doch auch nicht schlecht.

SPIEGEL: Was tun Deutschlands Obst- und Weinbauern denn ganz konkret in diesem Tagen, um ihre Kulturen gegen den Wintereinbruch zu schützen?

Plückhahn: Die sind sehr erfindungsreich. Eine bewährte Methode in klassischen Obstanbaugebieten wie dem Alten Land in Niedersachsen ist die Frostschutzberegnung. Die Bäume werden mit einem feinen Wasserstrahl besprüht, das Wasser gefriert bei den Minustemperaturen, es legt sich als Eispanzer um die Blüten und schützt sie.

SPIEGEL: Eis als Schutz gegen Eis?

Plückhahn: Beim Übergang vom Aggregatzustand Wasser zum Aggregatzustand Eis wird Wärme frei. Diese Gefrierwärme bewahrt die Blüten vor Frostschäden. Es gibt viele weitere Lösungen wie Hagelschutznetze, Folien. Aber wenn Sie sich die Weinberge in der Pfalz, in Rheinhessen, Franken vorstellen, das sind teilweise riesige Regionen, die kann man nicht komplett mit einem Eispanzer versehen. Das braucht enorm viel Wasser.

SPIEGEL: Da machen die Winzer dann Feuer im Weinberg, richtig?

Plückhahn: Sie zünden Frostfackeln an, das sind große Behälter mit Brennpaste, die die Luft erwärmen sollen. Die muss man aber in relativ kleinen Abständen aufstellen, wenn die was bringen sollen, da gibt es zum Teil starke Rauchentwicklung. Mancher Winzer leistet sich auch mal einen Heli, um damit die Luft über dem Weinberg zu verwirbeln, sodass von oben etwa wärmere Luft in die bodennahe Kaltluftschicht bei den Reben gebracht wird. Und das neueste, was gerade getestet wird, sind Heizdrähte, die man entlang der Reben zieht. Aber das ist natürlich auch alles teuer und aufwendig.

SPIEGEL: Jetzt kommen noch mal eisige Temperaturen, bis Mittwochmorgen. Geben die den Pflanzen den Rest?

Plückhahn: So kalt wie vergangene Nacht wird es nicht mehr. Ich denke, was die letzte Frostnacht überlebt hat, übersteht auch die nächste

2024-04-23T18:24:57Z dg43tfdfdgfd